Donnerstag, August 13, 2009

Nachtrag. Zusammenfassung. Ambivalenzen. Eine Metapher.

Von 200907_Tokio

Sitze derzeit fleißig an meiner Diplomarbeit. In too deep, wie das Foto zeigt. Fette Schwärze auch zwischen den Zeilen. So sieht das manchmal aus.
Schulde dem Blog Aktualität, nicht zu knapp. Poste nun erstmal einen Nachtrag, bevor ich mich an die Auswahl der Fotos und einen Bericht zum Besuch von Maja und Dani mache.

Seid April bin ich nun schon wieder hier. Die Sprachkurse sind vorbei, viele ziehen zurück in ihre Heimat, nach Deutschland, die USA, Thailand, Frankreich und wohin auch immer.
Zeit für mich ein bisschen zusammenzufassen was hier so passiert ist in den vergangenen Monaten.
Meine Klasse war schon besonders lustig. Jeder war mit der nötigen Konzentration und Motivation beim Lernen, aber eben auch ohne den Spass aus den Augen zu verlieren. So gab es dann regelmäßig Treffen und Parties auf denen oft auch bis in den frühen Morgen rein gefeiert wurde. Unvergessen das Okinawa-Izakaya mit anschliessender Fotosession vor der Glitzerkulisse Shinjukus, das Barbecue im Grünen und der anschließende Strandbesuch. Die spontane Montagsparty mit zu viel von dem koreanischem Billigsake etc. Diese bisweilen heftigen Parties der C-Class und den japanischen Volunteers waren oft der verdiente Lohn der oft stressigen Woche in der Sprachschule mit jeder Menge Tests, Hausaufgaben etc. Meinen Vorsatz am Wochenende fleißig und gewissenhaft an meiner Diplomarbeit zu basteln konnte ich nur unter Berücksichtigung dieser notwendigen Feieraktivitäten einlösen. Es gibt nur sieben Tage die Woche ohne Zeit zum Verschnaufen geht’s nicht. Soviel hab ich dann doch gemerkt. Notwendig war es eben oft, einfach mal die Sachen ruhen zu lassen und die Hektik und den Frust des Alltags als Gaijin (wörtlich Fremder) in der oft wenig toleranten japanischen Gesellschaft bei ein paar Bier sacken zu lassen. Mein deutscher Kollege Eicke der nun leider hier die Segel streicht und nach Berlin zurückfliegt war da oftmals der richtige Gesprächspartner. Mal sehn wie ich das ab jetzt hinbekomme, denn Stress, Hektik und der Kulturshock bleiben hier.
Oft ist es doch eine Art Hassliebe die mein Verhältnis zu dem Land und seinen Leuten am ehesten beschreibt. Vielleicht wird das im Folgenden klarer:
Pendlerzug und tote Gesichter am Morgen. 35 Grad und fiese Schwüle. Lärm und Gedränge am Bahnhof. Gesellschaftliche Zustände die nur schwer nachzuvollziehen sind z.B. Bahnangestellte die während des Pendelverkehrs Kaugummi vom Boden kratzen, eine Verkäuferin die einer Maschine gleich die Kundenwünsche abwickelt und der die Traurigkeit aus dem Gesicht springt. Da staut sich dann oft was auf, was nur schwer zu verarbeiten ist. Oft entlädt sich alles in einem Pauschalurteil: Alle verrückt! Hier läuft alles verkehrt. Bloß schnell weg.
Das totale Gegenteil dann wenn man sich mit interessanten Leuten trifft. Man lässt es locker angehen. Die Atmosphäre ist gelassen. Freundliche Gesichter. Ich lache mit den Japanern. Ich lache über die Japaner. Genieße die Gastlichkeit dieses Landes und das gute Essen. Trinke was. Rede über alles mögliche mit Leuten aus aller Welt. Das Leben ist schön und wir feiern das Leben und uns selbst. Irgendwie geht das hier schnell und problemlos. Den Alltag auszublenden, dass ist hier einfach, und ist auch das was Japaner wollen in ihrer Freizeit. Irgendwie wirken die Menschen dann wie ausgetauscht und alles ist locker und entspannt, freundlich und unverbindlich. Man kann sich treiben lassen und die freien Stunden in der leuchtenden Weltstadt geniessen. Es geht schon wieder früh genug in die harte Realität zurück. Bis dahin ist Spass verordnet.
Offensichtlich geht das nicht nur mir so. Scheinbar ist das ein Prinzip nach dem die Stadt hier funktioniert. Der Organismus Tokio. Die Züge, U-Bahnen und Straßen sind die Nervenbahnen. Die großen zentralen Bahnhöfe die Knotenpunkte, wo alles zusammenläuft. Hier kann man erfahren in welcher Stimmung, in welcher Verfassung der Organismus ist. Hier kann man es beobachten in den Gesichtern der Menschen. Ob fröhlich und farbenfroh in der 19 Uhr Bahn nach Shinjuku oder grau vergrämt im morgendlichen Pendlerzug aus Chiba. Der Organismus, die Stadt funktioniert. Die Menschen brauchen die Stadt und die Stadt braucht die Menschen. Mal grau und mal bunt. Alles passt, ist aufeinander abgestimmt. Der Mensch als Rädchen im Getriebe. Die Funktionen des Organismus, die Unterordnung des Menschen unter diese Imperative. Diese Fiktion mutet hier schon sehr real an. Bloß denkt man da nicht drüber nach wenn man im täglichen Trott zur Arbeit oder zur Schule und zurück pendelt. Als Teil des Systems fehlt die distanzierte Perspektive, die Obenaufsicht. Entsprechend orientieren sich alle Bedürfnisse erst einmal an den unmittelbaren Gegebenheiten. Der Sitzplatz in der Bahn zählt dann mehr als ein Überdenken der großen Zusammenhänge. Ohne Aussicht auf Änderung, die Uhrzeit im Blick.

4 Kommentare:

simon hat gesagt…

der ambivalente jonas! repekt wie du den spagat zwischen den kulturen/launen, generell den gegensätzlichen dingen des alltags meisterst!auch wenn ich ja immer viel nöle und motze: das nötigt einem respekt und bewunderung ab!
aber um auch meiner ambivalenten persönlichkeit rechnung zu tragen: komm schnell wieder her, übbacher gemüsehändler!

mali hat gesagt…

zunächst mal das hier:

http://www.seidseit.de/

bringste mir ne pulle billig-sake mit?

mali hat gesagt…

und dann noch das:

ist mal wieder eine richtige wonne deine distanzierte innen-perspektive zu lesen. chapeau und weiter so!

jo hat gesagt…

Danke für Lob und Kritik! Seit ich diese Webseite las, seid ihr nicht mehr behelligt mit Rechtschreibfehlern (Tempus...)

Billigsake ist eingepackt!