Nach zwei Tagen in Marrakesch, dieser ebenso exotischen wie chaotischen Stadt, wollte ich für meine knapp bemessene Zeit in Marokko eine Wanderung durch das Atlasgebirge organisieren. Dies lief äußerst problemlos ab. Auf Nachfrage konnte mir die Inhaberin meines Riads die Telefonnummer von Jamal geben, der Wanderungen, Mountainbike-Touren und verschiedene Aktivitäten im Atlasgebirge anbietet. Nach einem kurzen Telefonat stand Jamal dann auch bereits im Marrakesch parat um mit mir persönlich die Details der Tour abzusprechen. Drei Tage sollte es durch drei verschiedene Täler des Toubkal-Nationalparks gehen, mit zwei Übernachtungen in Berber-Dörfern. Ich war begeistert, hatte ich doch eigentlich nur damit gerechnet eine zweitägige Tour machen zu können. Rasch hatte ich meine Sachen gepackt, da ich tags drauf in aller Frühe nach Imlil, dem Bergsteiger-Zentrum des südlichen Marokkos aufbrechen musste. Imlil liegt in 1740 Metern Höhe direkt am Djebel Toubkal, dem mit 4165 Metern höchsten Berg in Nordafrika.
Dort angekommen, warteten auf mich bereits Mohammed-Ali, der Trekking-Guide, sowie Mohammed, Maultier-Treiber und Koch in Personalunion. Diese beiden sollten mich in den kommenden drei Tagen durch das Gebirge begleiten. Nachdem meine Sachen in die Taschen am namenlosen Maultier (Tiere bekommen dort keine Namen) gepackt wurden ging es auch schon an den ersten Aufstieg. Ziel für den ersten Tag, war das Dorf Ikiss, welches über einen Pass in 2300 Meter (Tizi n' Tamatarte) erreicht werden konnte. Unter knallblauem Himmel ging es bei ganz angenehmen Temperaturen durch Pinien-Haine auf einem recht einfach zu begehendem Maultier-Pfad in Richtung Pass. Bereits nach kurzer Zeit war ich von der Atmosphäre begeistert: die Stille, die frische, nach Pinien duftende Luft, und das überwältigende Panorama des Atlas-Gebirges. Mit jedem Schritt wurde ich mehr von dieser Atmosphäre absorbiert und verabschiedete mich für die kommenden Tage in die Abgeschiedenheit der Berge.
Der erste Pass bot einen Anblick in ein fruchtbares Tal, in dem neben Ikiss noch weitere Berber-Dörfer gelegen sind. Nach einer kurzen Rast in der Sandwiches, Madarinen und Minztee für die nötige Energiezufuhr sorgten ging es auch schon weiter. Nach kurzer Zeit kamen die ersten Dörfer in Hör- und Sichtweite. Die Dörfer drängen sich an die teilweise sehr steilen Hänge und heben sich farblich kaum vom Berg ab. Es wirkte fast so, als wären sie natürlicher Teil des Gebirges. Unterhalb der Siedlung schließen sich Terrassen zum Anbau von Getreide an, sowie Felder mit Obst- und Nussbäumen. Letztere bieten im Frühjahr einen wohl noch schöneren Anblick, wenn die Bäume in voller Blüte stehen. Der Anblick dieser Dörfer muss dann wirklich paradiesisch anmuten. Überhaupt scheint die Kultur hier noch recht unberührt von den Segnungen der Zivilisation, sieht man von den Stromleitungen und dem leider vorhandenen Plastikmüll einmal ab. Nach dem Abstieg vom Pass durchquerten wir das erste Dorf. Die Kinder stürmten aus der Schule um am Flussbett zu spielen und Menschen, die mit aller Ruhe der Welt gesegnet sind, grüßten mir freundlich zu. Diesem fruchtbaren Tal folgten wir weiter bis nach Ikiss, einem Berber-Dorf in dem wir unser erstes Nachtlager bezogen. Der unbeheizte Raum, im Hause einer Familie war spärlich ausgestattet, mit Matratzen und mehreren Decken und Kissen. Besonderen Komfort muss man hier zwar nicht erwarten, aber alles ist sauber und die sanitären Anlagen erfüllen die grundlegenden Ansprüche. Nach dem obligatorischen Minztee zur Begrüßung und einer kleinen Siesta konnte ich bis zum Abendessen noch etwas durch das Dorf streifen. Dort spielten die Kinder Fußball und eine Aufforderung zum Mitspielen konnte ich mich natürlich nicht ausschlagen. Wie die Kinder barfuß oder mit Gummi-Sandalen über die Schotterwege rasten und den Plastikball kontrollieren konnten, war schon bemerkenswert und die Freude der Kids am Spiel war überragend. Schließlich wurde die viele Anstrengung des Tages mit einer schmackhaften Tagine und einem sternenklaren Himmel belohnt. Allerdings übermannte mich bald die Müdigkeit und die aufziehende Kälte trieb mich schon bald ins Bett.
Tag zwei Begann früh. Noch bevor die Sonne wieder über den Berg war, brachen wir direkt nach dem Frühstück auf, um an diesem Tage gleich zwei Pässe zu erklimmen. Der erste Aufstieg führte uns von 1900 auf 2050 Meter (Tizi Agouersioual), der zweite von 1500 auf 2219 Meter (Tizi Oudid). Da ich kaum etwas gefrühstückt hatte, war ich auf den letzten Metern rauf zum zweiten Pass völlig entkräftet, aber das umwerfende Panorama, die Farben des tiefblauen Himmels und des orange-roten Berghangs pushten mich immer weiter. Dem Pfad folgend, entlang von Wacholder-Bäumen und Stein-Formationen näherte ich mich in einem fast meditativen Zustand, Schritt für Schritt dem Pass. Auf dem Plateau angekommen, warteten auf mich ein frischer Minztee, meine Schlafmatte zum Ausruhen und ein schmackhaftes Lunch. So konnte ich es mir bequem machen und liegend den tollen Ausblick genießen. Schon bald war ich eingenickt und schlief ebenso wie meine Guides ein bis zwei Stündchen. Wie lange genau, kann ich nicht sagen. Der Schlaf war so erholsam, dass es sich wie fünf Stunden anfühlte. Dieser wunderbare Nachmittag auf dem Hochplateau, mit dem Himmel in greifbarer Nähe und der Stille, die nur vom Gezwitscher der Vögel und dem Wind in den Bäumen gebrochen wurde, war einer der Höhepunkte auf meiner Wanderung.
Nach dem Abstieg übernachteten wir in einer Gîtes d’etâpe. Dort wurde wieder gut gegessen und bei einem Feuerchen Kraft getankt für den letzten Tag.
Dieser sollte uns über einen Pass auf 2400 Meter Höhe (Tizi Mzik) direkt nach Imlil, den Anfangs- und Endpunkt meiner Wanderung führen. Der teils beschwerliche Aufstieg sollte sich wiederrum lohnen, einmal oben bot sich ein wunderbarer Ausblick. Von dort lassen sich die unterschiedlichen Farben der Berge ausmachen. Zudem war man den schneebedeckten Hängen der über 4000 Meter Gipfel des Toubkal-Massivs sehr nah. Auf dem Weg zum Pass überquerten wir Pfade, die im Winter bei Schnee nicht zu begehen sind, mit teilweise atemberaubenden steilen Abhängen und Schluchten.
Als der letzte Pass erklommen und Imlil in Sichtweite kam, zog drängte sich die Zivilisation wieder in mein Bewusstsein. Andere Trekking-Touristen, die ich die ganzen drei Tage nicht gesehen hatte, kämpften sich den Berg hoch. Am Beispiel einer fünfköpfigen Gruppe konnte ich sehen, wie man mit einer besser gefüllten Reisekasse dort wandert. Das Feldlager mit Teppichen und Kissen wartete bereits und zwei Köche waren emsig damit beschäftigt, ein opulentes Lunch zuzubereiten. Wie dem auch sei, ich war vollstens zufrieden mit meiner Wahl. Mein Guide war freundlich, hilfsbereit, um einen Scherz nicht verlegen und zudem in allen Dörfern die wir passierten bekannt. Für einen kleinen Plausch mit den Einwohnern nahm er sich ebenso immer wieder Zeit wie für Erklärungen und Fotos. Diese kurzen Pausen kamen ihm entgegen, denn so konnte er immer wieder ein Zigarettchen rauchen. Das Essen war schmackhaft und ausreichend - es fehlte an nichts. Ebenso habe ich Begleitung nicht wirklich vermisst. Während der Wanderung war ich mir selbst genug. Ich habe es genossen, in dieser einzigartigen Umgebung meine Gedanken schweifen lassen und geistig zur Ruhe zu kommen. Von meinem Mp3 Player gab es ab und an den Soundtrack (v.A. Blur mit Think Tank) dazu und auch wenn es körperlich anstrengend war, so kann ich mich gut erholt und geistig frisch ins Jahr 2011 stürzen.